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Das Wikileaks Phänomen bei Jihadistischen Gruppen

Im August kündigte die Bundesrepublik Deutschland an, die irakisch-kurdische Regionalregierung im Kampf gegen den »Islamischen Staat« (IS) mit Waffenlieferungen zu unterstützen. Daran schloss sich die Frage an, wie die Terrororganisation überhaupt so stark werden konnte. Vizekanzler Sigmar Gabriel forderte zunächst eine »Debatte« zu den Finanzquellen des IS. 

 

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller nannte dann in einem ZDF-Interview im Zusammenhang mit der Finanzierung des IS explizit das Emirat Katar – musste aber nach diplomatischen Druck aus Doha, München und Berlin eilig zurückrudern und gab schließlich zu Protokoll, von der Presse »unpräzise informiert« gewesen zu sein. Doch woher stammen nun die Gelder für die Dschihadisten?

Zunächst hat sich der IS im Zuge seiner Ausbreitung in Syrien den Zugang zu Ressourcen gesichert. Während das Assad-Regime mit voller Härte gegen die nationalen Aufständische vorging, ließ es von den reaktionären dschihadistischen Gruppen weitgehend ab und überließ ihnen die Kontrolle über einige Gebiete, die den Kämpfern als Rückzugsgebiete dienten.

Auseinandersetzungen lieferten sich die Dschihadisten eher untereinander – und gaben so einiges über ihre Strukturen Preis. Spätestens seit der Ermordung des Al-Qaida-Gesandten Abu Khaled Al-Suri im Februar 2014 eskalierte der ideologische Konflikt um die Führerschaft der dschihadistischen Szene zwischen den Brigaden, die sich zu Qaida-Chef Ayman Al-Zawahiri bekennen, und der damals als IS bekannten Organisation des Irakers Abu Bakr Al-Baghdadi.

Gegenwärtig gelten die Plattformen diverser sozialer Netzwerke als Schlachtfelder der rivalisierenden dschihadistischen Organisationen, um Anhänger zu rekrutieren oder um sich zumindest als die »rechtschaffende« – oder zu Unrecht verleumdete –Partei zu präsentieren. Dadurch werden viele Interna ausgeplaudert und Informationen und Geheimnisse, die jahrelang der Weltöffentlichkeit verborgen blieben, erblicken das Tageslicht. Beobachter erhalten mittlerweile somit Einblick in interne Strukturen des IS, seine Entwicklungsgeschichte, aber auch Biographien seiner Anführer – allen voran von Abu Bakr Al-Baghdadi, der es bis an die Spitze des IS schaffte.1 Die Richtigkeit dieser durchgesickerten Informationen bestätigt sich oft darin, dass diese Informationen dann auf den privaten sozialen Netzforen der Dschihadisten als Folge  diskutiert werden. Somit ist es nun möglich, die Gründe zu verstehen, die zur Entstehung dieser Organisation und seines Bündnissystems führten.

Ein weiteres Ergebnis dieser Enthüllungen ist der Zugang zu Informationen hinsichtlich der Finanzen der Gruppe. Im Irak standen beispielsweise setzte der IS auf »Gebühren«, die von Unternehmern, Fabrikbesitzern und prominenten Politikern erhoben wurden. Im Gegenzug sicherte der IS zu, auf Ermordungen und Selbstmordattentate zu verzichten.

In Syrien standen der Organisation jedoch enorme wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung. Bei der strategischen Expansion haben drei entscheidende Kriterien eine Rolle gespielt:

Erstens, Gebiete mit größeren Öl- beziehungsweise Nahrungsressourcen, zweitens, Städte wie Raqqa oder Al-Bab, die eine strategische Bedeutung als Verwaltungszentren oder wegen ihrer Nähe zu Grenzübergängen haben, und drittens, Ortschaften, die eine zukünftige Expansion ermöglichen. In Syrien investierte IS also kaum Energie, um Gebiete einzunehmen, die keine wirkliche strategische Bedeutung haben.

Zwischen April 2013 und April 2014 nahm der IS geschätzte 700 Millionen Euro ein.2 Diese Einnahmen verdankt die Organisation der Kontrolle über eben jene strategisch bedeutsamen Ziele im Osten Syriens.

IS eroberte mehrere Öl- und Gasfelder in Raqqa, Hassaka und Deir Ezzor. Die geförderten Rohstoffe fanden zum einen lokale Abnehmer, zum anderen wurden sie verdeckt an das Assad-Regime oder türkische Mittelsmänner verkauft, die in mafiösen Strukturen Öl über die Grenze schmuggelten. Des Weiteren verkaufte man die Ausrüstung und den Fuhrpark der Ölunternehmen der eroberten Anlagen ins Ausland.

Die Organisation beschlagnahmte in Hassaka die Getreidesilos, die wiederum den offiziellen nationalen Getreidespeicher für das gesamte Land beherbergten. Die ähnlich wichtigen Baumwollressourcen eroberte der IS von der Nusra-Front – dem Al-Qaida-Ableger in Syrien – in Deir Ezzor.

In Sheikh Najjar und in Aleppo nahm der IS mehrere Fabriken ein und verkaufte die demontierte Ausrüstung an die türkische Mafia. Die genannte Region beherbergte die wichtigste Industrie des Landes.

Der IS kidnappte Dutzende syrische und ausländische Journalisten, deren Anwesenheit für die Assad-Gegner in den ersten beiden Jahren des Krieges von großer Bedeutung gewesen war. Offiziell erklärte man sie zu Spionen, die für westliche Geheimdienste arbeiteten. Häufig ließ man sie gegen hohe Lösegeldsummen wieder gehen. Spanische Reporter kamen beispielsweise für 40 Millionen Euro frei.3 Syrer kamen gegen kleinere Beträge wieder frei. Zudem erzielte der IS Einnahmen aus dem Kunsthandel und stahl etwa antike Statuen aus dem Nationalmuseum in Al-Nabak. Abnehmer war auch hier die türkische Mafia.

Je länger der Krieg zwischen den einzelnen dschihadistischen Gruppierungen dauert, desto mehr Details drängen ans Tageslicht. Mitte September wurden beispielsweise mehrere Namen samt Aufenthaltsorte der IS-Führungsriege im Saudi-arabischen Al-Qusaim bekannt gegeben – darunter die Namen der Mitglieder des IS-Schura-Rates.


1: Unter folgendem Link finden Sie ein Beispiel zu durchgesickerten Informationen zu ISIS: http://justpaste.it/wikibaghdady 

2 und 3: Die Zahlen basieren auf einige durchgesickerte Informationen über das Wikileaks-Phänomen sowie auf einem Interview mit einem Ex-Führer bei ISIS

 Übersetzt von Saad eddine Fidaoui